DER RESTAURANT BLOG
Nr. 05/21 | 15.04.2021
ESSKAPADEN.BLOG
Timmendorfer Strand – ein Fest der Sinne oder die Invasion der Massen?
Ja, ich gestehe, mein Herz vor Jahren an Timmendorf verloren zu haben – aber diese Geliebte macht es einem zunehmend nicht leicht. Doch der richtige Umgang mit ihr verspricht immer noch höchstes Glück! Von daher ist dies keine Reisereportage, sondern meine ganz persönliche Anleitung zum Glücklichsein mit der kapriziösen Königin der Ostsee.
DAS AUFBLÜHEN
Nach der Berliner Styropor-Luft weckt schon die frische Hamburger Brise die Lebensgeister meiner Lungen. Aber erst in Timmendorf beginnt das Fest aller Sinne. Ich schlafe im 10. Stock am Meer bei offenem Fenster, höre das Meeresrauschen und schlafe himmlisch wie nirgendwo sonst auf diesem Planeten. Zuvor habe ich nach einem langen Strandgang nach Niendorf den frischesten Rotbarsch mit Köpi & Jubi runtergespült – mein Lieblingstaxi von Berger zurück genommen und bin glückselig in meine Koje gefallen. Es gibt herrlich frische Meeresluft, idyllische Momente, bürgerliche Restaurants der Spitzenklasse und die wundervoll geerdeten, natürlichen und liebenswerten Menschen Ostholsteins. Nach drei Tagen schon fühle ich mich gesünder, ausgeglichener und glücklicher als zuvor. WENN, ja wenn …
DIE INVASION
Am Ostersamstag 15.00 Uhr im kleinen Zentrum von Timmendorf erreicht die Invasion der Tagesbesucher, Hotelgäste & Ferienhaus-Besitzer ihren Höhepunkt. Auf jedem Quadratmeter’chen Strand, Grün oder Einkaufsstraße versuchen viel zu viele Menschen wenigstens e i n e n Fuß auf die Erde zu bekommen. Luftakrobaten sind hier klar im Vorteil sowie Menschen mit Quadratlatschen, die ihrer ganzen Sippe Stand & Halt geben können. In den total überfüllten und umkämpften Cafés an der Kurpromenade sitzt die Hamburger Anwalts- & Ärzte-Schickeria mit ihren Damen, deren tiefgebräunte Lederhaut (sorry!) stolz die Zahl der absolvierten Strandtage ausweist. Die Saisonkönige hätten sogar eine Chance bei den Karl-May-Festspielen in Bad Segeberg. Ein Wegbewegen ist auch fast unmöglich, da jede Art von Verkehr (und ich meine j e d e Art) zum Erliegen gekommen ist. Einige Schlaumeier haben gleich bei ihrer Ankunft den Parkplatz des Supermarkts angesteuert und können so die Ostertage wenigstens mit frisch gekauften Chips & Chablis im Auto feiern. Ab 16.00 sperrt die Polizei die Zufahrtstraßen und am Sonntag werden PKW & Personen vom Katastrophenschutz evakuiert.
DIE STRATEGIE
Ostern, Pfingsten und in den Sommerferien: früh morgens & abends an den Strand oder zum Einkaufen – am Höllensamstag gegen den Strom nach Hamburg zum leckeren Einkaufen. Und Spaziergänge über die (be)rauschenden Felder im Timmendorfer Hinterland sind eine echte Alternative zum tagsüber überfüllten Nahkampf-Strand! Mieten Sie früh ein Zimmer im Maritim Clubhotel möglichst hoch und zur Meerseite – oder buchen Sie eines der vielen angebotenen Ferienapartments vom 9. bis 29. Stock im selben Hochhaus – und Sie entfliehen dem Trubel. Hochhäuser stehen potthässlich in der Landschaft – bieten aber wahrhaftig einmalige Ausblicke vom Balkon über das weite Meer und erfrischende Brisen für Ihre hungrigen Lungen. Wenn Sie das Konzept des antizyklischen Lebens in Timmendorf erst einmal gelernt haben, ist der Umgang mit der Nebensaison ein Klacks – ganz zu schweigen von Nov, Jan & Feb, in denen die Königin der Ostsee nur den Ostholsteinern gehört – und Ihnen.
DAS ZENTRUM
Wie an den meisten Orten der westlichen Welt haben auch in Timmendorf schon lange die Damen die Herrschaft (zumindest über die Kreditkarten) übernommen: Boutique an Boutique – unterbrochen nur von den auch unvermeidlichen Restaurants. Kurgäste neigen nun mal zu exzessivem und völlig unnötigem Klamottenkauf. Essen im Zentrum hat mich meist enttäuscht – mit einer überraschenden Ausnahme: das berühmte und ewig überfüllte „CAFÉ WICHTIG“ inmitten der Kurpromenade hat aufgrund seines hochengagierten & immer sichtbar agilen Managers eine durchaus akzeptable Qualität aufzuweisen. Ansonsten gilt im Zentrum das traurige, aber eherne internationale Gesetz der Massenfütterung auf Flughäfen, Bahnhöfen & touristischen Hot Spots: „wo sollen die Gäste denn anders hin?“ Nun, da hätte ich ein paar Ideen …
HERRLICH SCHLAFEN & HIMMLISCH SPEISEN
(Hotel-)Restaurants mit beeindruckender Aussicht halten ihre Küche meist für eine „qualité négligeable“. Ganz anders das vor einigen Jahren neuerbaute STRANDHOTEL FONTANA: ein moderner, weißer Palast am Strand ohne kitschiges Seegetue, mit eleganten, ruhigen Zimmern, einem Superservice und seinem Spitzenrestaurant HORIZONT, das asiatische Küche mit raffinierten Grillgerichten sterneverdächtig kombiniert. Mein Fazit: Hotel „Eine Reise wert!“ – Restaurant „Ein Hochgenuss!“
Til Schweigers BAREFOOT Hotel & Restaurant in amerikanischem Hamptons-Stil überzeugt mich mit entspannter, junger Atmosphäre & kleiner, aber engagierter Karte. Fazit: „Hat mir sehr gefallen.“
Meine kulinarische Kindheit wurde von gutbürgerlichen Gaststuben & Landgasthöfen geprägt – eine Spezies, die mittlerweile kaum noch zu finden ist. Und wenn überhaupt, dann nur noch im hohen Norden und im tiefen Süden. Noch heute sind bestbürgerliche Restaurants wie z. Bsp. das „Hirschen in Lehen“ bei Freiburg für mich ein Tempel allerhöchster Gaumenfreude! Und gutbürgerlich hat die Königin der Ostsee einiges zu bieten – ausserhalb von Timmendorf.
BRECHTMANNS Restaurant & Hotel in Schürsdorf
Im Hinterland des Nachbarorts Scharbeutz liegt Brechtmanns weit abgelegen an geschwungenen Pferdekoppeln, an denen sich „Fuchs und Hase gute Nacht sagen“. Hier hat die Familie Brechtmann über Jahrzehnte eine Kathedrale gutbürgerlicher Kochkunst & Bewirtung geschaffen. Ihr Motto: je besser die Küche, umso größer die regionale Anziehungskraft. Und richtig: die anspruchsvollsten Gaumen pilgern gerne ein paar Kilometer um z. Bsp. die berühmten Flugenten zu geniessen – die so heißen, weil sie Ihnen buchstäblich in den Mund fliegen. Mein geliebtes „Roastbeef mit Bratkartoffeln“ und viele andere vorwiegend Fleischgerichte sind alle „bürgerlich at it’s best!“. Aber es wird noch einmal spannend: vor drei Jahren ging die Familie Brechtmann in den wohlverdienten Ruhestand (der Filius der Familie eröffnete „Brechtmanns Bistrot“ in Hamburg) – und die Familie BERGER übernahm die berühmte Ikone bürgerlicher Bewirtung in Schürsdorf. Und dann … die Spannung steigt … und meine Erleichterung ist groß: selten habe ich eine so perfekte gastronomische Übernahme ohne den geringsten Qualitätsverlust und mit sogar einigen kulinarischen Steigerungen erlebt, wie diese. Chapeau! Mein Fazit: für Fans bürgerlicher Küche „Eine Reise wert!“
FISCHKISTE am Niendorfer Hafen
An der See wächst Appetit auf Fisch – doch der kommt selten auf den Tisch! In der Tat eines der Mysterien der Lübecker Bucht. Aber zum Glück hat das von Timmendorf (fast) fussläufig erreichbare Niendorf einen Fischereihafen und direkt gegenüber die seit Jahrzehnten berühmte FISCHKISTE mit allerlei Sorten von frischestem Fisch – frischer gehts nicht! Ob Dorsch, Rotbarsch, Scholle, Seezunge, Lachs & Co. – nur frischer Fisch macht richtig froh. Der (bereits erwähnte) Strandgang voller Seeluft von Timmendorf nach Niendorf weckt meinen Appetit auf Fisch – der goldbraun in Butter gebratene Rotbarsch mit Mayonnaisensalat & Remouladensauce, begleitet von einem frisch gezapften König Pilsener und beruhigt von einem edlen Aquavit – lassen mich schweben vor Glück! Fazit: „Eine Reise wert!“
Nicht weit von der Fischkiste am Niendorfer Strand liegt die BUDE 8, ein Edel-Imbiss, in der der ehemalig michelin-ausgezeichnete Jens Häberle mit superleckerem Luxusessen verwöhnt. Für einen radikalen Restaurant-Revoluzzer wie mich sogar: „Eine Reise wert!“
FUCHSBAU Romantikhotel & Restaurant
Den glückstrunkenen Reigen meiner bestbürgerlichen Restaurantempfehlungen möchte ich mit dem Fuchsbau abschließen. Offiziell noch Teil der Gemeinde Timmendorfer Strand – liegt es doch ausreichend entfernt vom Tourismustrubel in herrlich ländlicher Umgebung. Die Generationen der Familie Fuhrmann waren und sind Gastgeber aus Leidenschaft und entsprechen Klasse sind das romantische Hotel & das regionale Restaurant. Wer hier einige Wochen träumt & schlemmt will nie mehr weg – bis dann die Hose klemmt. Mein Fazit auch hier ganz klar: „Eine Reise (mit Reservehose) wert!“
Timmendorfer Strand
strandhotel-fontana.de > Hotel Fontana & Restaurant Horizont
barefoothotel.de > Hotel & Restaurant Barefoot
cafewichtig.de > Café Wichtig
Schürsdorf
brechtmann.de > Hotel & Restaurant Brechtmanns
Alle meine Empfehlungen sind kulinarische Glücksorte,
doch dies ist die NUMMER 1 !
Bewertungen: 1. Eine Reise wert 2. Ein Hochgenuss 3. Hat mir gefallen 4. Mixed Feelings 5. Hat mich enttäuscht 6. Mein „NoGo“