DER RESTAURANT BLOG

Nr. 02/21 | 15.01.2021

ESSKAPADEN.BLOG

Drei glückliche Tage am Zürichsee – und ein verkorkster Businesstrip

Der Erfolg ist meist sein größter Feind – auch in der Reisewelt. Und je berühmter ein Ziel ist, umso heftiger wird es von Abermillionen von Besuchern plattgetreten. Ausweichstrategie: antizyklisch reisen oder abseits der Horden & Heuschrecken! Gerade Orte mit mittlerem oder geringerem Tourismusrang können überraschen. Überraschung gefällig? Bitte sehr!

Es war Mitte Juni und auf meinem Programm stand leider eine dieser genauso unvermeidlichen wie sterbenslangweiligen Konferenzen in einem europäischen Kettenhotel in Plastikdesign und mit Roboterservice – von dem pappigen Frühstücksbuffet ganz zu schweigen. Meine Überlebensstrategie sollte sein, möglichst weit ab vom Tagungshotel zu übernachten und (m)eine Begleitung mitzunehmen. Also buchte ich ein Hotel knapp außerhalb Zürichs, lud meine Begleitung ein und flog mit gemischten Gefühlen nach Zürich – und ich sollte Recht behalten.

Als wir vor dem „Hotel Sonne“ in Küsnacht aus dem Taxi stiegen, meckerte meine Begleitung (die mitgenommen zu haben, ich fast schon bereute):  „Oh je, die Hütte liegt ja an der Hauptverkehrsstraße und von Sonne keine Spur!“ Mein Hinweis, dass der Businesstarif ihres Flugtickets jederzeit eine Rückreise ermöglichen würde, beruhigte die Lage etwas.

Der Eingangsbereich und das Einchecken bestätigten meine Hoffnung auf ein gediegenes, traditionelles und inhabergeführtes Hotel mit Schweizer Charme und Gastronomie in gehobener Qualität. Auf Anhieb fühlten wir uns sehr wohl und herzlich willkommen. Aber noch vor dem Einnehmen der Zimmer wollte ich den Außenbereich erkunden – und dann kam die Überraschung: hinter dem Hotel zog sich ein langgestreckter, romantischer Biergarten direkt am Zürichsee entlang. Spontan: der schönste Biergarten, den ich je gesehen hatte! Und glücklicherweise nicht exklusiv für schnöselige Hotelgäste, wie uns, sondern „open to the public“ und entsprechend belebt. Wir brachten unser Gepäck schneller auf unser Zimmer, als Sie „Hoppla Hopp“ sagen können – und ergatterten dann einen Tisch direkt an der Hecke zum Wasser.

Ich holte für uns zwei Kalbsbratwürste & das lokale Bier – und wir saßen unter den schattenspendenden Bäumen in leichter, warmer Sommerbrise vom See herüber und redeten … und redeten … und redeten. Nach mehr als einer Stunde wurde mir bewußt, dass wir die Zeit und ich meinen Konferenzauftakt vergessen hatten. Und meiner Rechtfertigung, daß es die Konferenz mehr stören würde, in die Eröffnung verspätet hineinzuplatzen, als garnicht zu erscheinen – stimmte meine Begleitung aus vollem Herzen zu. Dieser Moment der Befreiung schenkte uns einen wundervollen Nachmittag in paradiesischer Umgebung – und die Zeit blieb für uns stehen.

Am Abend erkundeten wir – leicht müde und beschwipst von Sonne, Wind & Bier – die Hotelumgebung und fanden eine Handvoll ansprechender Restaurants. Da im Hotel gerade eine Hochzeit stattfand, entschieden wir uns für ein Seerestaurant außerhalb, dessen Küche uns durchaus zufriedenstellte, was in unserem noch immer andauernden Schwebezustand allerdings nicht schwierig war. Beim Genießen eines vorzüglichen Schweizer Fendant du Valais beschäftigten mich zwei Fragen: warum sind Schweizer Gewächse im Ausland kaum verfügbar? Und: was ist jetzt mit der Konferenz? Die erste Frage beantwortete die Restaurantchefin ein wenig zu selbstbewusst: „die trinken wir alle selbst!“. Und die zweite Frage quälte mich die halbe Nacht.

Den nächsten Tag verbrachte ich in modrig-klimatisierter Luft, mit abgestandenen Vorträgen und abgehobenen Konferenzteilnehmern. Auch die abendliche Fütterung von 700 Leuten musste ich noch über mich ergehen lassen, ehe ich am späten Abend meine Begleitung an der Hotelbar wiedersah – leicht sonnenverbrannt und schwer von Verehrern umlagert. Ich machte dem Spuk mit dem dreist gelogenen Hinweis auf meinen Kampfsport ein schnelles Ende und erfuhr von meiner Begleitung, was wir am nächsten Tag unbedingt tun müssten. „Also, …!“

Nach dem traumhaften Biergarten am See war die zweite Überraschung & Sensation die Anlegestelle der Zürichseeschiffe direkt am Hotel. Hammer! Wir gingen gegen Mittag an Bord, ließen uns beim Betrachten der vorbeiziehenden Küste mit all seinen Attraktionen den Fahrtwind um die Nase wehen – und waren eine Stunde später an der Haltestelle „Bürkliplatz“. Was für eine wundervolle Art, in die Innenstadt Zürichs zu gelangen! Den ganzen Nachmittag durchstöberten wir die Bahnhofstraße mit all ihren Nebengässchen und besonderen Geschäften & Lokalen, um am Ende etwas sehr schweizerisches zu tun: einen Apero zu nehmen.

Für das Folgende sollten Sie sich bitte einen Trommelwirbel vorstellen: „grgrgrgrgrgrgr-tschingbumm!“. Wenn meine Sanduhr sich eines Tages dem Ende zu neigen sollte, dann würde ich sagen: „Was, schon alle? Dann nochmal in die KRONENHALLE!“ Immer nur Tradition lässt mich ersticken und bei immer nur hipper Coolness wird mir übel. Aber ab und an eine der weltweiten Ikonen fein-bürgerlicher Küche, Kultur & Tradition lässt mein Herz höher schlagen: die Kronenhalle, Zürich, in der Rämistraße, nahe Bürkliplatz. Der weitere Verlauf des Abends ist nicht schwer zu erahnen: wir betraten die patina-vergoldeten Räume der Kronenhalle, wurden mit Grandezza von einem Ober in weißer Livrée mit Goldknöpfen an unseren reservierten Tisch in einer klassischen Nische geführt und freuten uns auf die äusserst exquisite Hausmannskost.

Wo soll ich nur anfangen? Bei Saumon fumé, Matjeshering, Omelette aux fines herbes, dem geschnetzeltem Kalbfleisch mit Rösti, dem Entrecôte „Café de Paris“, dem Chateaubriand für zwei oder dem Filet de Loup de mer grillé? Und zum glücklichen Ende das Soufflé glacé Grand Marnier? – um nur ein Viertel der Speisekarte zu zitieren. Und die große Kunst dieser Ikone ist es, einfache Gerichte auf allerhöchstem Qualitätsniveau zu servieren. Mein absolutes Muss ist hier immer das „Geschnetzelte a la Kronenhalle“  – am liebsten als Vor- UND Hauptgericht! Weiß ich denn, wann ich wieder hierher komme? Nicht auslassen darf ich übrigens, daß die Kronenhalle auch für eine lange Bartradition der Weltklasse berühmt ist. Daher muss ich meinen letzten Wunsch doch korrigieren – nicht „noch einmal“, sondern „NOCH ZEHNMAL IN DIE KRONENHALLE“!

Wir spazierten dann drei Minuten zur Anlegestelle Bürkliplatz und nahmen das letzte Schiff zum Hotel. Wir saßen natürlich draußen unterm Sternenhimmel und von irgendwo erklang wunderschöne Musik – oder war das nur meine Einbildung?

Den dritten Tag erkundeten wir den gesamten See mit der großen Schiffstour und ich schwor mir, hier demnächst einen Sommerurlaub zu verbringen. Würde ich meine Begleitung wieder mitnehmen? Und wie würde eine ganze Woche am Zürichsee verlaufen? Diese und andere Geheimnisse verrate ich Ihnen vielleicht in einem späteren Blog. Vielleicht.

FAZIT: Bestnote 1 „Hotel Sonne & Kronenhalle – beide sind eine Reise wert!“

sonne.ch

kronenhalle.ch

Gastro Talk

Liebe Chefs der gehobenen Gastronomie, bitte denken Sie daran, daß Kinder keine Störenfriede in Restaurants sind – sondern Ihre zukünftigen Kunden. Also bitte etwas mehr Phantasie bei der Kinderkarte! Bockwürstchen kriegen die Kids (leider) auch oft zuhause.

Do’s & Dont’s

Liebe Eltern, bitte nehmen Sie Kevin, Amelie & Co. oft ganz selbstverständlich mit, wenn Sie gut (!) essen gehen. Die Franzosen & Italiener machen uns erfolgreich vor, wie man Esskultur am Leben erhält und an die nächsten Generationen weitergibt.

Mein „Best Of“

Das High Speed Frühstück aus dem Actionfilm „V – wie VENDETTA“:  mit einem Schnapsglas ein Loch in eine Scheibe Toastbrot drehen – dann denn Toast in eine Pfanne mit Butter geben – ein Ei in das Loch gleiten lassen, salzen – und 3 Minuten bräunen. Gern wiederholen.

Vorschau

Solange Restaurants noch weitgehend geschlossen sind, stehen Blogs über Wien, erneut Hamburg, London & New York auf der Agenda. Sobald wieder möglich – freue ich mich auf spannende Erstbesuche und Bewertungen von bekannten wie neu eröffneten Lokalitäten quer durch Europa.

Bewertungen: 1. Eine Reise wert 2. Ein Hochgenuss 3. Hat mir gefallen 4. Mixed Feelings 5. Hat mich enttäuscht 6. Mein „NoGo“